Eigenkulturschock (D)

Wenn Fremdes vertraut ist und das Vertraute befremdet.

‚Die Summe der Erwartungen ist nie deckungsgleich mit der Summe der Ergebnisse. Das führt zu Wachstumsschmerzen.‘ Dieses Zitat eines Politikers gilt auch hier – für beide Richtungen: weggehen und heimkehren. Bei der jährlichen Urlaubsreise wird es weniger spürbar sein als bei einem längeren Auslandsaufenthalt – doch sind es vergleichbare Vorgänge.

Das W-Modell zum Kulturschock spricht bei einer Ausreise von anfänglicher Begeisterung – dem folgt eine Krise, der Fremdkulturschock – nach Erholung und Anpassung droht bei einer Heimkehr der Eigenkulturschock. Das klingt nach Wechselbäder der Gefühle und Übergänge, die leicht oder schwierig sein können – je nachdem mit wieviel Freiheit und Ungezwungenheit wir gewohnt sind, uns durch einen Wechsel zu bewegen.

Persönliche Erfahrungen mit einem 12jährigen Aufenthalt in Belgien decken sich durchaus damit. Als ich von A nach B ging war alles neu, interessant, faszinierend –  ein Gefühl von großer Freiheit stellte sich ein. Auch Befreiung von der eigenen Geschichte – keine Erinnerungen, die einem begegnen. Man kann sich neu definieren.

Eine gewisse Ermüdung folgte nach einer Weile der Begeisterung. Nur weil etwas neu und anders ist, ist es noch lange nicht gut und schon gar nicht besser als Zuhause. Bald lernte ich die früher selbstverständliche Struktur, Ordnung, Sauberkeit in A zu schätzen. Unvergleichlich die gute Luft, die Seen mit Trinkwasserqualität und das Wasser, das man aus der Leitung trinken kann.

Seit der Phase der Anpassung schätze ich die Andersartigkeit der neuen Heimat. Gewöhnte mich in B bereitwillig an die spontane, lebendige Kultur und das Miteinander, geprägt von Gesprächs-bereitschaft und Offenheit. Ungezwungen und ohne vornehme Zurückhaltung begegnet man einander – doch anders als hier in A.  Dieses Andere schmerzt jetzt bei der Rückkehr sehr.

Aber wieder werde ich mich – wie damals beim Fremdkulturschock – darauf besinnen, dass man mit einem Vergleich niemand gerecht wird: keinem Land und keinen Menschen. Wenn man lernt ‚nicht zu vergleichen‘ hat man schon fast gewonnen.

Und: ist nicht das Gras immer grüner auf der anderen Seite? Verändert der Perspektivenwechsel nicht auch die Wahrnehmung?  Der Blick von der Fremde auf die Heimat zeigt ein meist verlockenderes Bild, als wenn wir zuhause sind. Umgekehrt: wieviel leichter ist es, Wünsche und Träume auf das Entfernte zu projizieren. Im Alltag scheint vieles davon nicht verwirklichbar.

Irritationen als Resultat zwischen Erwartungen und Realität bleiben uns nicht erspart. Das Wort Wachstumsschmerz nennt einen Preis, verspricht uns aber auch Entwicklung.

Publiziert in der Salzburger Nachrichten dd. 18/8/2014.

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